Im Jahr 2021 haben sich Bürgerinnen und Bürger in einem riesigen Ausmaß für ein besseres Zusammenleben eingesetzt. Die einen bringen Einkäufe zu den Nachbarn in Corona-Quarantäne. Die anderen demonstrieren auf friedliche Weise für oder gegen bestimmte Corona-Schutzmaßnahmen. Die einen führen ihre traditionelle Turnstunde nicht in der Turnhalle, wohl aber im Freien fort. Die anderen starten eine neue Initiative zur Verbesserung der Arbeitssituation in der Pflege. So lange wir uns im Rahmen der demokratisch legitimierten Regeln und im Wertekanon des Grundgesetzes bewegen, ist diese Vielfalt des Engagements genau das, was eine lebendige Öffentlichkeit braucht – auch wenn wir uns dabei manchmal auf die Füße treten.
Resignation wahrnehmen – Menschlichkeit befördern
Es ist bemerkenswert wie viel Kreativität und Phantasie, wie viel Kraft und Ausdauer in dieser Vielfalt des Engagements liegt. Sicher ist zu vieles abgesagt und eingestellt worden. Chöre und Musikanten hatten keine Probe. Im Fußball, Handball und anderen Sportarten wurde das Training eingestellt. Feste, Gruppenstunden und Mitgliederversammlungen blieben stillgelegt. Bildung und Kultur suchte die digitale Vermittlung – mit beschränkter Qualität. Manche politische Auseinandersetzung verlies den Boden gemeinsamer Erkenntnisfähigkeit und Würde.
Und trotz alledem: Musik und Gesang wurde auch auf der Wiese und auf offener Bühne veranstaltet. Zum Training wurde online oder ins Freie geladen. Im kurzen Corona-Sommer nahmen wir jeden Gelegenheit der Geselligkeit dankbar auf. Die Hilfsbereitschaft der Nachbarschaftshilfen überstieg bei weitem den Bedarf. Die Feuerwehr und Rettungsdienste waren nie außer Betrieb. Zahlreiche Menschen übernahmen Verantwortung für die Wegfindung in einer unübersichtlichen Situation, ob in kommunalen Gremien oder in der öffentlichen Debatte. Freilich haben dabei einige resigniert oder sind Hass-erfüllt abgetriftet. Die übergroße Mehrheit aber sucht die Menschlichkeit auch in schweren Zeiten und viele engagierte Bürgerinnen und Bürger haben uns immer wieder über die Probleme hinweg geholfen.
Traditionen bewahren – Neues wagen
Wenn wir diese Situation wahrnehmen und den Blick in die Zukunft richten stellen wir fest wie wertvoll es ist, dass es lange gewachsene Traditionen des sozialen Engagements am Untermain gibt. Wir dürfen daran glauben, dass die alte Sehnsucht nach Geselligkeit größer ist als die neue Kultur der Einsamkeit. Wir können hoffen, dass die Übungsleiter und Vorstände, die Helferinnen und Helfer wieder lustvoll anpacken, wenn es endlich wieder möglich sein wird. Bestimmt wird der vitale Lebensimpuls nach Gemeinschaft vieles von dem was eingeschlafen scheint wieder wachküssen.
Zugleich klingt es doch gehörig in den Ohren, dass das wohl nicht für alle Traditionsaktivitäten gilt. Viele Bürgerinnen und Bürger nehmen ganz intuitiv die Unterbrechung zum Anlass, ihren Kalender und ihre Freizeit neu zu sortieren. Es ist eben leichter nicht mehr zurück zu kommen als von sich aus aufzuhören. Das sprüen Vereine, Verbände, Kirchen und Parteien gleichermaßen. Insofern müssen wir schon davon ausgehen, dass das öffentliche Leben im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie auch beträchtliche Lücken aufweisen wird. Hinzu kommt, dass z. B. in der Kinder- und Jugendarbeit zwei Jahre eine ganze Generation ausmachen. In diesem Sinne hat die KAB-Initiative sozial & gerecht mit der “Open-Sozial” einen Beitrag geleistet, um die Menschen im Landkreis Miltenberg für neues soziales Engagement zu werben. In diesem Sinne hat z. B. die darin entstandene Themengruppen “Ehrenamt” recht, wenn sie Überlegungen zu einem “Vereins-Coaching” für die Zeit nach der Pandemie anstellt. Wahrscheinlich brauchen wir an vielen Orten neue Ideen, damit die Bürgerinnen und Bürger nicht nur die Gelegenheit zum Rückzug wahrnehmen, sondern auch den Impuls erhalten, neue Erlebnisse des Gemeinsinns zu schaffen.
Projekte umsetzen – Nachhaltigkeit schaffen
Wir dürfen also gespannt sein, was wir als Gemeinschaft der Bürgerinnen und Bürger aus der Situation machen. Ein paar weitere Impulse kommen aus den Themengruppen der Open-Sozial und seien hier zitiert:
- Zum Thema “Corona” wird uns empfohlen öffentliche Begegnungs-Formate des “Zuhörens” zur organisieren.
- Im “Ehrenamt” soll nicht nur ein Coaching angeregt, sondern auch ein “Ehrenamts-TÜV” für Kommunen und Vereine (vielleicht auch für uns Bürgerinnen und Bürger 😉 weiterhelfen.
- Der Zugang zu einer gesunden und regional gewachsenen “Ernährung” kann durch eine entsprechende Modellveranstaltung angeregt werden.
- Die Bedingungen der professionellen “Pflege” muss politisch verbessert werden und der Übergang in die private Pflege kann nur vernetzt geschehen.
- Die “Digitalisierung” ist einerseits barrierefrei auszubauen und andererseits in der privaten Handlungsfähigkeit abzusichern.
- Die “Integration” von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen braucht einen verlässlichen Zugang zu Räumen und professioneller Unterstützung.
Diese Ansätze sind sicher nur eine kleine Auswahl an Notwendigkeiten für ein besseres Zusammenleben am Untermain. Dennoch sind sie genau so, richtig und wichtig. Sie ergänzen das öffentliche Leben und verknüpfen sich zum Beispiel mit Projekten des Kreisjugendrings, der Caritas oder des Vereins Frauen für Frauen e.V. Weitere Kooperationen sind denkbar. Begeisternd ist die Ernsthaftigkeit die in allen Gruppen zu spüren war. Hinzu kommt der Schwung mit dem viele Engagierte im kommenden Jahr 2022 tatsächlich ihre Ziele gemeinschaftlich realisieren wollen. In diesem Sinne wird es auch spannend, wie es gelingt, aus den Projekten heraus ein Modell zu erschaffen, um immer wiederkehrende Impulse für soziales Engagement am Untermain zu generieren. Auch daran werden wir arbeiten!